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Cervo, Beyond Culture

Meet & greet mit den artists in residence

21.07.2022

Im CERVO Mountain Resort in Zermatt gibt es eine neue Künstlerresidenz. Nicolas Steiner und Laura Killian waren die Ersten, die in der «Cabin Essence» weilten. Was sie dort erlebt haben.

Der Oberwalliser Filmemacher Nicolas Steiner ist noch keine 40 Jahre alt. Trotzdem begab er sich im Januar jeden Tag auf den «AHV-Weg». So wird der Rundweg beim CERVO Mountain Resort in Zermatt genannt. Er setzte sich auf eine Bank an der Sonne und traf Entscheidungen. Nicolas Steiner bestimmte, mit welchen Hauptdarstellern er für seinen nächsten Film «Der fliegende Berg» zusammenarbeiten und welche Szenendetails er in seinem Drehbuch anpassen wollte. Steiners Aufenthalt in Zermatt waren keine Ferien. Er und Laura Killian, Conzept-Art-Fotografin, verweilten zum Arbeiten in der neuen Künstlerresidenz des CERVO mit dem Namen «The Cabin Essence».

Die Idee zur «Cabin Essence» stammt von Daniel F. Lauber. Letztes Jahr machte sich Lauber auf eine Wanderung. Er lief von St. Niklaus über Jungen in Richtung Augstbordpass. Nicolas Steiner lief ihm von der anderen Seite des Passes entgegen. Gemeinsam gingen sie dann weiter zur Turtmannhütte. Auf dem langen Weg hatten sie Zeit, über die Entstehung einer Künstlerresidenz im CERVO zu sprechen. «So kam eines zum anderen», sagt Nicolas Steiner, «und Daniel hat mir angeboten, dass Laura und ich die ‹Cabin Essence› als Erste ausprobieren und drei Wochen dort verbringen könnten.»

Der Vorschlag passte. Denn Nicolas Steiner arbeitete an seinem Filmprojekt «Der fliegende Berg». In Zermatt fliege das Matterhorn ja auch weg, wenn die Wolken kommen, sagt er und lacht. Steiner nahm sich vor, im CERVO das Drehbuch zu verfeinern.

Als die Künstlerin Laura Killian und der Filmemacher Nicolas Steiner im Januar in Zermatt eintrafen, fanden sie dort ein Winterwunderland vor. Der Alltagsaufgaben enthoben, konnten sie sich ganz auf ihre künstlerische Arbeit konzentrieren. Sie hatten die Freiheit, Neues zu erschaffen. Doch wie das so ist mit der Kreativität, sie lässt sich nicht per Knopfdruck einschalten.

«Wir mussten zuerst ankommen und waren zu Beginn fast ein wenig erschlagen vom opulenten CERVO-Angebot», sagt Nicolas Steiner. Das sei Daniel F. Lauber aufgefallen, und er habe sie ermutigt, vom Leistungsgedanken loszulassen und erst einmal zu erleben und leben.

Nicolas und Laura hatten anstrengende Zeiten hinter sich. Die Produktion der Netflix-Serie «Dig Deeper», bei der Steiner als erster Schweizer Regisseur im Serienweltmarkt mitmischte, verlangte ihm einiges ab. Aber auch privat wurde das Paar vor grosse Prüfungen gestellt.

Laura Killian spricht offen über Schicksalsschläge, und dass sie bis zu ihrem Aufenthalt in der «Cabin Essence» aus beruflichen Gründen noch gar keine Zeit gehabt hätten, die traurigen Ereignisse zu verarbeiten. Sie sagt: «Wir befanden uns plötzlich wie in einer Schutzhülle. Angestautes und Emotionen traten hervor.» Und da ihre Auseinandersetzung mit Kunst, egal in welcher Form, immer mit Emotionen, Eindrücken und Erfahrungen zu tun hätte, sei diese Konfrontation vermutlich viel wichtiger gewesen als das eigentliche Produzieren. «Das war die Magie der ‹Cabin Essence›.» Der Aufenthalt wurde auch zu einer Zeit der Selbstreflexion und des Aufarbeitens.

Laura und Nicolas wurde bewusst, dass es dieses Eingeständnis brauchte, um auch die Inspiration wieder zu fördern. «Mit der Inspiration strömten auch die Ideen wieder und mit den Ideen kam es zu einer Heilung und Selbstfindung», sagt Nicolas Steiner. Dadurch sei auch wieder eine unbändige Schaffensenergie frei geworden.

Laura bewarb sich für die Künstlerresidenz mit dem Ziel, ein Fotoprojekt zu kreieren, das von der Erfahrung des Aufenthalts selbst inspiriert sein sollte. Nachdem sie die erste Zeit in der «Cabin Essence» genutzt hatte, um zu sich selbst zurückzukehren und Körper und Geist wieder zu vereinen, fand sie Kraft, ein Konzept für eine neue Fotoserie zu schaffen.

Laura Killian ist gebürtige Amerikanerin aus Texas. Sie lebte lange in Los Angeles. Als sie zum ersten Mal Schneefall sah, war sie schon Mitte 20. Und nun schneite es in Zermatt. Am Morgen betrachtete sie die Schneedecke, die sich nachts über die Landschaft gelegt hatte. Die Welt wirkte heil und unberührt. Als konzeptionelle Fotografin wollte sie Schnee als Aggregatszustand und Masse verwenden. Und sie schuf ein Selbstporträt, das eine Wiederverbindung mit sich selbst darstellt: Schnee auf nackter Haut. 

«Es gibt eine Verwundbarkeit in der Blösse, aber nur, indem du nackt (auch im übertragenen Sinne), echt und offen bist, kannst du dich wirklich verwandeln», sagt Laura dazu. Mit dem Bild von Schnee auf nackter Haut schuf sie ein Selbstporträt, das den Schmerz symbolisiert, den wir manchmal empfinden, wenn wir in vorgefundener Ruhe reflektieren und Traumata verarbeiten.

Nicolas Steiner nutzte die Zeit in Zermatt neben der Weiterentwicklung des Drehbuchs auch für wichtige geschäftliche Gespräche, die Auswertung der Castings, und er gleiste neue Projekte auf. 

Im Rahmen der «Cabin Essence» habe ihnen das CERVO-Team über die Dauer ihres Aufenthalts eine Haltung, einen Lebensstil, eine Entdecker- und Experimentierfreude vermittelt. In diesem Geist hätten sie das Resort nach drei Wochen verlassen.

Ein halbes Jahr nach dem Aufenthalt steht das Filmprojekt «Der fliegende Berg», zu dem Nicolas Steiner das Drehbuch schrieb und Regie führen würde, auf wackligen Füssen. Die internationale Koproduktion sollte von der Schweiz, Österreich und Irland finanziert werden. Geplant war, im Wallis, Österreich, Irland und West-China zu drehen.

«Die österreichische Filmförderung hat die Finanzierung vor ein paar Tagen abgesagt», sagt Nicolas Steiner. Damit sei unklar, ob der Film überhaupt produziert werden könne. «Die Finanzierung dieses internationalen Kinospielfilmprojekts ist sehr komplex, und wir müssen uns nach neuen Finanzierungswegen und Sponsoren umschauen, damit die bisherige akribische Arbeit der letzten sechs Jahre an diesem Film nicht in der Schublade landen.» Die Hoffnung hat er noch nicht aufgegeben. Wie es weitergeht, ist offen. Nicolas Steiner hat für die Realisierung des Films sogar Anfragen für eine Kultkriminalreihe oder andere internationale Angebote abgelehnt.

Zurzeit wird die Künstlerresidenz «The Cabin Essence» von Veronika Bendik bewohnt. Die Fotografin mit ukrainischen Wurzeln und Wohnsitz in der Schweiz schreibt an einem Buch. Auf der Terrasse ihres Zimmers im CERVO habe sie den idealen Ort zum Schreiben gefunden. Dort sitzt sie, betrachtet die Berge und tippt ihre Geschichte in ihr Smartphone. Auf die Künstlerresidenz sei sie durch einen Instagram-Post von Laura Killian aufmerksam geworden.

Benjamin Dietsche, Deputy General Manager im CERVO, sagt: «Wir bieten drei- bis viermal im Jahr einen Aufenthalt im Rahmen der ‹Cabin Essence› an». Interessierte Kunstschaffende können sich beim Resort bewerben und ein Projekt vorstellen, an dem sie arbeiten wollen. Eine Jury wählt dann aus, welche Künstlerin oder welcher Künstler die Residenz für drei Wochen beziehen kann. 

Das CERVO sei geprägt von der Philosophie «Beyond Cultur». Im Resort arbeite man regelmässig mit Livebands, DJs sowie Kunstschaffenden zusammen. Die «Cabin Essence» solle Künstlerinnen und Künstlern erlauben, Inspiration zur Kreativität zu finden. Sie seien frei in dem, was sie tun, erklärt Benjamin Dietsche.

«Als Gegenleistung haben wir mit den Künstlern abgemacht, dass sie nach Möglichkeit einen Kunstgegenstand bei uns lassen.» Das könne ein Gedicht, ein Foto oder ein Bild sein. In ein paar Jahren würde dann in einer «Artist Wall», einer Künstlerwand, zu sehen sein, wer alles in der «Cabin Essence» war und was dort kreiert wurde. Wer im Herbst in der «Cabin Essence» verweilen wird, ist noch nicht bestimmt. «Wir nehmen noch Bewerbungen entgegen», sagt Benjamin Dietsche.

Quelle: Pomona Media
Author: Nathalie Benelli
Fotos: pomona.media/Daniel Berchtold

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